PRESS 2009

2009 www.artsite.tv

www.artsite.tv zeigt Bilder aus Dieter Mammels Frankfurter Atelier im Bericht über die Tage der offenen Ateliers in Frankfurt "Open Doors" 2009.

2009 Kerber Verlag

Much of what Dieter Mammel expresses through his unmistakable visual language—in his paintings, his stage designs and his films—seems to be embarrassingly private, inappropriately intimate. And this is exactly what he is determined to do. The stories and dramas in his life remind us of our own fears, aspirations and fantasies. Anyone wandering through his installations or even sleeping, as in Mammels Traum (Mammel’s Dream), in a Berlin hotel room, feeling like a child in their parents’ gigantic bed, is part of an emotionally turbulent world from which there is no escape.

"Privacy" Kerber Verlag 2009

August 2009, Potsdamer Stadtkurier

Zerrbilder

Dieter Mammel spielt mit seinen Pinselzeichnungen mit unserem fotografisch geprägten Sehen.

Irritation ist die erste Reaktion vor den Arbeiten von Dieter Mammel im Kunsthaus im Ulanenweg. Ist es Fotografie, ist es Malerei oder gar Malerei und Fotografie? Es ist weder Fotografie noch Malerei, was da so wie malerisch bearbeitete Großfotografie aussieht. Es sind Pinselzeichnungen, die mit unserem fotografisch geprägten Sehen spielen und so die unbedingte Authentizitäit alles Abgebildeten einfordern. Hinzu kommt eine eigenwillige Zerdehnung realer Formen zur Kunstform, im Profanen bekannt von Spiegelkabinetten auf dem Rummel. Der flüchtige Blick sicht es als Verzerrung. Für die Bildrealität ist es jedoch Offenbarung des Inneren, eine Charakterisierung im Extremen.

Am Augenfälligsten wird es bei der ganzfigurigen Pinselzeichnung von Tina Bausch. Die kreative Spannung, die vibrierende Energie, die diesen Körper beherrschte, offenbart sich bei Dieter Mammel in einem einzigen großen Bogen des Körpers, eines Bogens, der aufs Genauste über das Hochformat gespannt ist und ausklingt in zwei, elektrisierende Energie ausstrahlenden wie aufnehmenden Händen. Ganz nach innen gekehrt ist der Ausdruck des Gesichtes, geradezu befriedet - eine ergreifende Hommage an die verstorbene große Tanzschöpferin.

Der 1965 in Reutlingen geborene Dieter Mammel studierte Ende der achtziger bis Anfang der neunziger Jahre Malerei an den Kunstakademien in Stuttgart und Berlin. Er schließt als Meisterschüler. Ein Stipendium der Akademie der Künste ermöglicht ihm einen dreijährigen Italienaufenthalt. Danach lehrt er Malerei und Kunstgeschichte an der Mediadesign Akademie in Berlin und Frankfurt am Main.

Was als Verzerrung, Überdehnung in seinen Arbeiten gesehen werden könnte, ist Mammels Art, Bewegung ins Bild und den Betrachter - auch er soll sich bewegen - zu bringen. Nicht, um Mammel zu zitieren, zu sehen, ,,wie sich ein Mensch bewegt, sonden was ihn bewegt". Was ungewohnt für den alltäglichen Blick erscheint, wird zum Zugang zum Menschen auf dem Bild. Diese Menschen holen den Betrachter nicht ins Bild, präsentieren sich nicht, man muss zu ihnen gehen und verliert sich dabei auch einmal in den fließenden Strukturen von Haaren oder Wellen des Wassers.

Dieses Fließen der auf nasse Leinwand aufgesetzten Farbe gibt auch den erotischen Szenen ihr ganz eigenes Flair. Die Größe seiner Formate meistert Mammel dadurch, dass er die Leinwand auf den Boden legt und von allen Seiten her bearbeitet.

Dieter Mammel, der zurückliegend eine abstrakte Phase in seiner Malerei hatte, die er im farbigen Experimentieren als ,,eine Art Naturkunde der Malerei" sieht, beharrt auf dem realistischen Motiv: ,,Alles real so wirklich wie das Fließen der Farbe“. Ein Kabinettstück dieser Haltung ist sein Lagerfeuer, ein Fest für die Augen von Hell und Dunkel, von Fläche und Struktur in klassisch ausgewogener Komposition, abstrakt im Realen.

Arno Neumann
Potsdamer Stadtkurier 12.08.2009

Juli 2009, Events - Magazin

Blind Date mit den Gefühlen

Malereiausstellung "Privacy" von Dieter Mammel

Kurz bevor man stirbt, zieht das ganze Leben noch einmal an einem vorüber. Das muß sich so ähnich anfühlen, wie ein Gang durch das Werk von Dieter Mammel. Wir werden in die Welt geworfen, wir lieben und haben Sex, wir leiden und sterben. Es sind die ganz großen Themen, die Dieter Mammel in Tusche und Aquarell auf die nasse Leinwand bringt. Mammel malt das Menschsein. Das Private. Seine Bilder treffen uns da, wo es wehtut. Man muss die Blicke schon aushalten, die kleinen Ängste wie den großen Schmerz. Befremdlich, intim, faszinierend. Seine Kunst ist wie ein Blind Date: eine Achterbahnfahrt der Gefühle.

Ralf Schuster
Events - Magazin ( Short Cuts - Kultur ) 7.2009

Juli 2009, Potsdamer Neueste Nachrichten

Im Privaten

Dieter Mammels neue Bilder, derzeit im Kunsthaus Potsdam zu sehen, können auch manchmal verstören (29.07.09)

Anzeige Es ist nicht schwer, in dem Porträtreigen Pina Bausch und Nina Hoss zu erkennen. Die künstlerische Arbeit haben die Choreographin und die Schauspielerin auch in ihren Gesichtszügen geprägt. Auf den hochformatigen, extrem lang gestreckten Bildern des renommierten Berliner Malers Dieter Mammel wollen sie ganz privat sein. Und „Privacy“ nennt auch der Künstler seine neue Ausstellung, die innerhalb des Zyklus „Blueberry Cycle“ entstand. Das Kunsthaus Potsdam zeigt sie nun und überrascht dabei wieder mit einer inspirierenden Schau.

Nina Hoss, die facettenreich ihre schauspielerischen Mittel einzusetzen vermag, wirkt hier auf dem Bild als eine Träumende und zugleich als eine, die sich von der Umwelt für kurze Zeit distanzieren möchte. Wie hinter einem Gazevorhang schaut sie gedankenverloren in die Welt. Die langen Haare verdecken teilweise ihr Gesicht. Einfach nur ein Mal privat sein, abgeschottet von der Öffentlichkeit heißt wohl hier ihre Devise.

Auch Pina Bausch, die bedeutende Choreographin unserer Zeit, ist eine Träumende. Sie, die ganz streng ihre dunklen Haare ihres schlanken Kopfes nach hinten gekämmt hat, hält die sonst melancholischen Augen geschlossen. Sie ist in sich gekehrt, träumt sich so in die faszinierende Welt des Tanzes hinein. Nur der lange und gebogene Körper wirkt etwas seltsam, fast könnte man meinen, er ist krank, nicht mehr durchtrainiert. Kopf und Körper wollen sich nicht vereinen, da fehlt es dem Ganzen an Harmonie. Die Choreographin war aber immer auf diese Einheit bedacht. Das Bild entstand im vergangenen Jahr. Am 30. Juni 2009 ist Pina Bausch überraschend gestorben. In Memoriam könnte man nun über das Porträt schreiben. Schräg gegenüber vom stillen Bild der Tänzerin macht ein Bild auf sich aufmerksam, auf dem ein Kind Schreckliches erlebt hat, vielleicht in Albträumen. Die weit aufgerissenen Augen und das von Entsetzen verzerrte Gesicht geben dem Titel des holzschnittartigen Bildes „Kleine Angst“ aber nicht unbedingt recht. „Jetzt erst kann ich Menschen malen, die auf sich selbst zurückfallen. Mich interessiert mittlerweile nicht so sehr, wie sich ein Mensch bewegt, sondern was ihn bewegt“, sagte der 1965 in Reutlingen geborene Dieter Mammel, der mittlerweile zu den wichtigsten deutschen Künstlern gehört, der weltweit seine Bilder in Ausstellungen zeigt.

Es gibt eine liebenswerte Anekdote über einen Umschwung in Mammels Schaffen, die immer wieder erzählt wird. Ausschließlich Landschaften und Häuser zeigten noch vor knapp zehn Jahren seine Bilder. Eine alte Dame, die berühmte Malerin Louise Bourgeois, besuchte eines Tages die Ausstellung des Künstlers in New York. Sie fragte, wo denn auf den Bildern die Menschen seien. Mammel entgegnete ihr, in all den Häusern, da sei seine Familie. Die große alte Dame ließ den jungen Mann stehen und sagte nur drei Worte: Open the door (Öffnen Sie die Tür).Dieter Mammel ging in sich und beherzigte ihren Rat: „Ich flog nach Berlin zurück, öffnete die Türen der Häuser und ließ die Familie raus.“

Von nun an entstand ausschließlich nur Figuratives. Partner, Verwandte oder Freunde hat er Nass in Nass monochrom in Aquarell und Tusche auf die ungrundierte Leinwand gemalt. Diese Technik ist stets auf ein schnelles und präzises Arbeiten bedacht. Korrekturen gibt es dabei nicht. Manchmal zerfließen auch die Farben. Dann wirken die Bilder so, als ob über sie ein Schleier gehängt ist.

Vor Jahren entstanden die Familienbilder in Grün. Dann gab es die glühenden „Magenta Lovers“. Im Kunsthaus zeigt er nun mit „Privacy“ seine blaue Periode. Blau ist die Farbe, die die Ferne symbolisiert. Und eine manchmal unwirklich träumerische Welt verbirgt sich hinter den Porträtierten, die von Dieter Mammel gezeigt werden, Menschen mit all den Spannungen und Entspannungen, die das Leben bereithält, Menschen mit den großen und gedämpften Emotionen. Auch verstören manchmal diese Bilder, nimmt man sie in Gedanken, vielleicht auch in Träumen mit.

Die Ausstellung ist bis zum 23. August, im Kunsthaus Potsdam, Ulanenweg 9, mittwochs bis freitags, 15 bis 18 Uhr, samstags und sonntags, 12 bis 17 Uhr geöffnet

Klaus Büstrin
Potsdamer Neueste Nachrichten 29.07.09

Juli 2009, Berliner Zeitung

Malen, worüber niemand reden will

Dieter Mammels Exkursion ins Private. Einblick gestattet eine Schau im KunstHaus Potsdam

Als er sie malte, mit blauschwarzer Tusche und auf der nassen Leinwand verlaufenden Aquarellfarben, da tanzte sie noch, da schien sie unsterblich, die gealterte, doch noch immer von außergewöhnlichen Energien durchpulste Pina Bausch, Meisterin des modernen Ausdruckstanzes. "Pina" ist eines der faszinierendsten Bilder in Dieter Mammels Zyklus "Privacy".

Von der kürzlich unerwartet verstorbenen Wuppertaler Tänzerin und Choreografin Pina Bausch gibt es wohl Unmengen von Fotos; sie war ein Weltstar. So wie Mammel aber hat sie keiner dargestellt: höchste Anspannung und Demut vor der Kunst im Gesicht mit den geschlossenen Augen, der schmale, vom Alter gezeichnete Körper verformt wie zu einer Nebelbahn. Und die Hände! Nicht fassbar entzieht sich diese charismatische Gestalt der Realität gleich wieder durchs Zerfließen der monochromen Farbe. Als Mammel 2008 die berühmte Frau malte, wusste er nicht, dass sie so rasch sterben und er ihr mit diesem Bild aus dem Blueberry Cycle - einsam und einzigartig auf der Bühne - ein Denkmal setzen würde.

Das KunstHaus Potsdam widmet dem 44-jährigen Maler aus Reutlingen, der zuerst in Stuttgart Malerei studierte, an der HdK Berlin Meisterschüler war und heute sowohl hier als auch in Frankfurt am Main lebt, eine Ausstellung. Er gestattet darin einen tiefen Einblick in die "Privatsphäre" von Menschen, die er porträtierte - mit großer emotionaler Nähe, aber räumlicher Distanz. Ohne Letztere wäre dieses Maß an Wesentlichkeit nicht zu erreichen gewesen, nicht diese ekstatische Konzentration größter Energie von Körper und Geist.

"Heimlich" malte Mammel 2007, es ist das erste Motiv aus dem Blueberry Cycle: Eine schmale Gestalt schaut aus dem Spalt eines Vorhangs irgendjemandem hinterher. Auch hier ist die Farbe reduziert auf einen Ton, fließen Tusche und Aquarelltöne auf die ungrundierte Leinwand. Das verursacht irritierende Lichteffekte auf Kleidung, Arm, im Gesicht der Gestalt. Fast möchte man an Röntgenaufnahmen oder zumindest sich gerade entwickelnde Fotos denken. Mammel malt am Boden, er rotiert um seine Leinwände, aber gerade dadurch bekommt der Farbfluss eine Wirkung, die an Filmstills erinnert. Die Gestalt auf dem Bild "Heimlich" ähnelt einem Knaben, zugleich aber auch der völlig zurückgezogen lebenden greisen, französisch-amerikanischen Bildhauerin Louise Bourgeois. Mammel hatte sie in New York in seiner Ausstellung mit Häuserbildern getroffen, "eine kleine, alte Dame, die mit ihrem Stock gefährlich nah vor meinen Bildern herumfuchtelte und mich mürrisch fragte, wo denn die Menschen in den Bildern seien. Ich antwortete: In den Häusern, da ist meine Familie drin. Sie sagte nur drei Worte, 'Open the door', und verschwand. Später erfuhr ich, dass die alte Dame die bekannte Bildhauerin Louise Bourgeois war. Ich flog also nach Berlin zurück, öffnete die Türen der Häuser und ließ die Familie raus.

" Seitdem malt Dieter Mammel "das Menschsein, das Private", wie er sagt. Befremdlich oft, intim immer. Es sind Bilder, die in der Seele weh tun und die man aushalten muss. "Blind Date" (2008) und "Der letzte Tropfen" schmerzen, denn es sind Gleichnisse. Aus dem Weiß der nichtgrundierten Leinwand wächst, in Licht und Schatten, der Kopf einer Frau, die sich die Augen zuhält. Oder der jemand die Augen verschließt, so, als würde sie die Realität nie mehr sehen wollen oder können oder müssen - und damit in ihrer kleinen Welt gefangen bleiben. Wem die (schuldige) Hand gehört, bleibt ein Bildrätsel - genauso wie wir nicht sehen, zu welchem Körper die Brust gehört, aus der ein erwachsenes Mädchen sich den letzten Tropfen Muttermilch saugt.

Dieses Bild von der Angst vorm Erwachsenwerden und vor dem eigenständigen Weg ins Leben rührt tief an. Mammel malt auch, worüber niemand sprechen will: Ganz privat sind das Krankheit, Verfall, Tod. "Letzter Gang" (2008) zeigt den Vater des Malers. Eine strauchelnde, fast schwebende Gestalt; Konturen lösen sich auf, werden eingesogen von einer dunklen, undurchdringlichen Wand. Reales verschwindet. Vor dem Werden hat die Natur das Vergehen gesetzt. Dann kommt etwas Neues.

Ingeborg Ruthe
Berliner Zeitung 28.07.2009

Mai 2009, Frankfurter Allgemeine Zeitung

Offene Türen, verborgene Fenster

Dieter Mammel bei Hübner & Hübner

Man mag es Zufall nennen, einen Wink des Schicksals, Vorsehung vielleicht oder schlicht und einfach einen gut gemeinten kollegialen Rat. Indes, dass ein Zauber dieser Anekdote innewohnt, lässt sich angesichts des seither so konsequent entwickelten Werks von Dieter Mammel kaum bestreiten. Ausschließlich Landschaften und Häuser zeigten noch vor rund zehn Jahren seine Bilder, und als eines Tages in New York eine kleine alte Dame von dem Künstler mit scheinbar ganz und gar naiver Neugier wissen wollte, wo denn da die Menschen seien, und er ihr auseinandersetzte, dass sich seine Familie dort in all den Häusern drin befinde, ließ sie ihn ganz einfach stehen und gab ihm nur drei Worte auf den Weg.

Drei Worte freilich, die seither Mammels Malerei in gänzlich andere Bahnen lenkte: „Open the door.“ Dass es Louise Bourgeois war, die damit den Kern dessen traf, was seine Kunst bis dahin vornehmlich umkreiste, ist eine hübsche Pointe, vor allem aber, so zeigt die daraufhin entstandene Serie der „Family Works“, hat er ihren Rat offenbar beherzigt. Seither hat Mammel fast ausschließlich figurative Bilder gemalt, Freunde, Verwandte, Partner, Kinder in hier eindeutigen, dort verstörend uneindeutigen Situationen, stets nass in nass und monochrom in Aquarell und Tusche auf ungrundierter Leinwand. Mal in Grün wie die Familienbilder, dann die glühenden „Magenta Lovers“ und schließlich „Feeling Blue“, Mammels seltsam melancholisch grundierte „Blaue Periode“.

Wenn der 1965 geborene Berliner Künstler nun mit seiner dritten Einzelausstellung in der Frankfurter Galerie Hübner & Hübner seinen aktuellen Zyklus „Blueberry Cycle“ vorstellt, dann scheint zwar wie stets in seinem Werk der Farbton jenen Klang, jene Temperatur, ist man geneigt zu sagen, vorzugeben, der eine jede seiner Serien subtil begleitet. Doch wenn nicht alles täuscht, beginnt mit dieser Farbe von ungeheurer Tiefe etwas gänzlich Neues. Zwar läuft die eine oder andere der wie durch einen Zerrspiegel gesehenen, im ersten Augenblick gegenständlichen und gleich darauf gänzlich abstrakt anmutenden Leinwände Gefahr, sich im verblüffenden Effekt zu erschöpfen. Doch die Rückkehr zu landschaftlichen Motiven bei gleichzeitiger Tendenz zu alles in nichts als Farbe und Bewegung auflösender Abstraktion dokumentiert unzweifelhaft erneut einen entscheidenden Wendepunkt in Mammels Malerei.

Nach der Tür, so scheint es, geht mit dieser Ausstellung, die anschließend in den Kunstverein Münsterland, nach Potsdam und Athen wandert, überraschend ein weiteres, bislang übersehenes Fenster auf.

Christoph Schütte
Feuilleton, Frankfurter Allgemeine Zeitung
7. Mai 2009

Mai 2009, Jutta Meyer zu Riemsloh M.A. Kunstverein Münsterland

PRIVACY - THE BLUEBERRY CYCLE

„Ich fühle, also bin ich.“ -  António Rosa Damásio

Was fasziniert so an den Bilderwelten des Dieter Mammel? Ist es der Entstehungsprozess seiner Bilder, die, zumeist auf dem Boden liegend, mit enormen Geschick, präzise, in fast ekstatischer Konzentration in Augenblicken vitaler Energie entstehen? Dieter Mammel rotiert um die Leinwand. Nass-in-Nass fließen Tusche, Tinte und Pigment auf dem Malgrund. Hier verbirgt der Künstler nichts. Entscheidend ist: Der Entstehungsprozess thematisiert sich selbst im ausgeprägten Bewegungsmoment der Arbeiten. Deren subtile Eigendynamik zieht den Betrachter unweigerlich in eine sinnbildliche Welt der emotionalen und existenziellen Empfindungen des Menschen hinein und treibt ihn, wie zuvor den Künstler, im realen Raum vor den Bildern umher, um der soghaften Anziehungskraft der Arbeiten auf die Spur zu kommen.

In „Blueberry Night“ verschmelzen Fläche und Raum zur Erfahrungstotalität. Denn im Strom des "Blueberry" lösen sich menschliche Konturen auf, erscheinen verzerrt gleich der Reflexion eines Vexierspiegels. Die Stärke der dargestellten Emotionen lässt die Wirklichkeit zerfließen. Aus nächster Nähe mit dem Geschehen konfrontiert, bleibt der Gesamtüberblick verwehrt. Realität verliert sich durch intensive Nahsicht und weicht Träumen und Assoziationen, denn im Übergang zwischen scheinbar Realem und der Imagination spielen Zeit und Raum keine Rolle. Schärfe und Unschärfe, Weichzeichnungen, Licht und Gegenlicht sowie die Negativverkehrung des Verhältnisses von Hell und Dunkel bewirken unterschiedliche Fokussierungen des Blickes. Gleich Filmstills, ausschnitthaft, in großformatiger Konzentration erscheinen Momente der Innerlichkeit. Nur aus der Distanz und in der Bewegung erschließt sich das Motiv in seiner ganzen Komplexität und offenbart scheinbar Reales. Nicht fassbar entzieht es sich sogleich wieder im Zerfließen der Farbschlieren.

Die monochromen Bilder des "Blueberry Cycles" bergen grenzenloses Potenzial. Aus dem Weiß der ungrundierten Leinwand erscheinen im Licht und Schatten Menschen, deren individuelle „Privacy“ eines zumeist flüchtigen Augenblicks im Bild kristallisiert. Scheinbar aus dem Nichts verwandelt „Blueberry“, die Mischung aus der Farbe Magenta des "Magenta Lovers" Zyklus und dem Blau der "Feeling Blue" Serie, in Korrespondenz mit der Leinwand Körper und Gesichter in ihrer realen Materialität in einem hoch komplexen sensiblen Prozess zum Spiegelbild des gefühlsbestimmten Seins. Gefühle, als Grundbefindlichkeit des Erlebens, treiben Dieter Mammel an, die eigene Geschichte oder Anderer durch Malerei fortzuschreiben oder Nachbilder zu fixieren. Dabei sind die Grenzen zur Realität fließend. Die Spuren des Lebens reflektieren in den Bildern der Innerlichkeit nach Außen und kehren als Erfahrung und Verdichtung der Gegenwart in die Bildlichkeit zurück. Beispielhaft dafür stehen zwei Bilder, die in der Bildabfolge des Kataloges an erster und letzter Stelle bewusst eine inhaltliche Zäsur setzen: „Heimlich“, 2007 und „Letzter Gang“, 2008. Während der Arbeiten am "Blueberry Cycle" und der Vorbereitung der Ausstellung PRIVACY erkrankte Dieter Mammels Vater schwer und verstarb kurz vor Weihnachten 2008.

m Bild "Heimlich" schiebt ein Junge, der die biografischen Züge Dieter Mammels trägt, einen Vorhang zur Seite und blickt einem Mann nach. Stille Distanz trennt beide voneinander. Der Junge gewährt einen kleinen Einblick in seine Privatssphäre und öffnet damit auch sinnbildlich den Katalog. Sein heimlicher Blick bleibt unbemerkt.

Das Werk „Letzter Gang“, entstand Anfang Dezember 2008, unmittelbar vor dem Tod seines Vaters. Der befürchtete Abschied ist nun eingetreten. Unsicher steht der Vater im Bild, im Straucheln begriffen. Die Konturen lösen sich auf, werden aufgesogen von den dunklen Balken am Rand, die eine undurchdringliche Mauer darstellen. Der Vater verlässt in einem Schwebezustand das Bild ( den Rahmen ) nach oben in die geistige Welt. Die Realität verlöscht. Der Lebenskreislauf ist abgeschlossen.

Dieter Mammels künstlerisches Schaffen zeichnet sich durch enorme Vielfalt und Fertigkeit aus. Seine Sensibilität und sein Gespür für "Spuren dessen", wie John Berger in seinem Essay "Über Sichtbarkeit" 1977 schreibt, "was sichtbar gewesen ist oder werden wird", macht jedoch die unmittelbare auratische Kraft und Intensität seines Oeuvres aus. Dabei geht es immer um uns selbst, um individuelle Lebenswahrheit. Dieser Faszination und Herausforderung ist schwer zu entgehen.

Jutta Meyer zu Riemsloh M.A.
Kunstverein Münsterland
Mai 2009