PRESS 2011

Oktober 2011, Frankfurter Allgemeine Zeitung

Blubbern, sprudeln, spritzen

Sprudelnde Farbräume: Arbeiten von Dieter Mammel in der Frankfurter Galerie Hübner & Hübner

Dieter Mammel zeigt sich mit seinem aktuellen Zyklus mehr denn je an malerischen Fragen interessiert. Zwar ist er seinen Themen – Kindheit, Jugend und Erinnerung – auch mit „Wasser“ treu geblieben. Und auch hinsichtlich der Monochromie: Mit den nass in nass auf ungrundierter, triefender Leinwand ausgeführten Aquarellen knüpft der Berliner Künstler an frühere Serien wie „Family Works“ oder „Magenta Lovers“ an. Doch jenseits der Motive, all der schwerelos im Wasser treibenden Körper, Schwimmer oder eintauchenden Springer, zeigt sich doch stets eine der Stofflichkeit des hier malerisch wie motivisch gleichermaßen im Zentrum stehenden Elements inhärente Tendenz zur Abstraktion. Blasen, Strudel, Turbulenzen, sich auflösende Konturen, sanfte Wellen oder heftige Bewegung: all die flüchtigen, im Bild eingefrorenen und als solche abstrakten Impressionen lassen sich gegenständlich lesen. Und doch scheint in den stärksten dieser neuen Bilder, als stürtzten Mammels Figuren sich in die Fluten nur, um in reinen, hier blubbernden, dort sprudelnden, spritzenden Farbräumen wieder aufzutauchen. Und sich ganz allmählich darin aufzulösen.

Christoph Schütte,
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Feuilleton vom 14.10.2011

September 2011, Der Reutlinger General-Anzeiger

Im Fluss der Erinnerung

REUTLINGEN . Ein Ton von Wehmut zieht durch die Ausstellung von Dieter Mammel, die er derzeit in der Kundenhalle der Reutlinger Kreissparkasse zeigt. Man sieht einen kleinen Jungen in altmodischen Kleidern, eine Frau mit auftoupierter 70er-Frisur, und immer wieder einen älteren Herrn im Anzug. Bilder wie aus alten Foto-Alben sind das. Sie scheinen schon zu vergilben, auch wenn der Künstler sie auf teils riesige Formate hochgezogen, sie mit den Techniken des Holzdrucks und des Aquarells transformiert hat. Die Farben reduzieren sich auf moosige Grün-, Grau- und Brauntöne, manchmal auch Blau oder Magenta. Und die Konturen zerfließen, vor allem in den Aquarellen. Der Mann im Anzug ist Mammels Vater; der Junge vielleicht er selbst? Klar ist, Mammel lässt Bilder aus der Vergangenheit aufsteigen und tränkt sie mit der Aura des Verflossenen.

Spiel mit Zeit-Ebenen

1965 in Reutlingen geboren, lebt Mammel längst in Berlin. Vergangenheit, auch die eigene, spielt in seinen Bildern eine große Rolle. Zuweilen konfrontiert er sogar mehrere Ebenen der Vergangenheit. In »Familiengeheimnis 1« blickt ein als Aquarell gemalter Junge auf eine als Holzschnitt aufgedruckte Frau mit Kind - vielleicht er selbst, als er noch jünger war? Der Knabe scheint nach seinem jüngeren Selbst zu greifen, doch es bleibt ihm unerreichbar.

Der Junge auf der Darstellung wie auch der Betrachter davor ist mit Bildern konfrontiert, die klar und schlüssig aus ihrer eigenen Sphäre aufsteigen - und doch ihr Fernsein behalten. Das macht ihre melancholische Poesie aus.

Und so taucht man vor Mammels Bilder ein in das, was sich schon wieder entzieht. Oft zerfließen die Motive regelrecht vor dem Auge. Die sechs untergetauchten Aquarellgesichter des Zyklus »Unter Wasser« etwa (2010) lösen sich in einem Rauschen von Luftblasen auf.

Oder Ophelia, Hamlets Geliebte, die sich im Fluss ertränkt: Ihr nackter Körper treibt auf Mammels riesigem Holzschnitt in einer Geste endgültiger Entspannung. Ihre Konturen verschwimmen. Doch indem Ophelias Konturen zerfließen, verschmelzen sie auch wieder mit dem sie umgebenden Raum. Und das auch noch auf andere, drastische Weise: Hat doch der Künstler in die Holzplatte, auf die er den Druck aufzog, kreisrunde Öffnungen gesägt. So fällt der Blick geradewegs durch die entspannte Todespose auf den Raum dahinter. Wer will, kann seine Arme durchstrecken und so seinerseits zum Teil von Ophelias Bildwelt werden.

Und noch ein weiterer Umstand verschränkt die Bildmotive mit dem Ausstellungssaal: Viele Arbeiten greifen wie Installationen in den Raum. Das Ensemble aus Ophelia-Holzschnitt und zugehöriger Druckplatte etwa breitet seine beiden Flügel wie riesige Arme aus.

Und sogar den Raum selbst verwandelt Mammel. Eine absichtlich überdimensionierte hölzerne Sitzbank suggeriert die Größenproportionen der Kindheit, als die Beine noch nicht bis zum Boden reichten. Das wuchtige Möbel hat der Schau im Finanzinstitut den sinnigen Namen »Die Bank« gegeben.

Der Zyklus »Überall seh ich dein Gesicht« durchdringt Wände und Raum mit Holzschnitt-Porträts des Vaters. Und in »Über der Stadt« holt Mammel seine Heimatgemeinde selbst aufs Bild. Ein Junge schwebt im Kopfsprung über den Dächern der Stadt, die eine Kamera oben am Gebäude live auf die Leinwand wirft. Als Betrachter fühlt man sich unwillkürlich selbst im Augenblick vor dem Eintauchen über der Stadt schweben - umflattert von den Tauben, die in diesem Moment durchs Bild fliegen.

Armin Knauer,
Reutlinger General-Anzeiger vom 23.09.2011

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September 2011, SÜDWEST PRESSE berichtet über die Eröffnung von Dieter Mammels Ausstellung "Die Bank"

Die Klammer des Lebens: Woher und wohin?

Plötzlich beginnen Tuschebilder und Holzschnitte zu erzählen. Von persönlichen Erfahrungen des Lebens, vom Patenonkel, von der Großmutter, vom Vater-Sohn-Verhältnis, das in mehreren Werken des 1965 in Reutlingen geborenen Dieter Mammel in indirekter Form zum Ausdruck kommt.

Erinnerungen sind das Leitmotiv der dreiwöchigen Ausstellung, die der Reutlinger Künstler durch Zeichnungen, Holzschnitte, Videoinstallationen und mit einer hohen, erhebenden Holzbank zum Thema gemacht hat. Da sind die fließenden Tuschemalereien der Serie "family works" (2001 bis 2004), die unter anderem ein Gruppenbild von Verwandten, eine Taufszene und das Bildnis des Vaters zeigen, der auch auf anderen Werken des Künstlers immer wieder auftaucht. Da ist ein großformatiger Holzschnitt, auf dem Mammels Patenonkel den Täufling zärtlich im Arm hält.

Einen großen Erinnerungsbogen schlagen auch die so genannten Nähzeichnungen, auf denen von Mammel gezeichnete Affen zu sehen sind, die von seiner Großmutter nachgestickt wurden. Damit stellt der Künstler "eine poetische Verbindung her, eine Teilhabe der Großmutter an der künstlerischen Arbeit Dieter Mammels und seinen Motiven", wie Werner Meyer bei der Eröffnungsrede sagt.

Der Direktor der Kunsthalle Göppingen führt weiter aus, "dass alle Werke gleichzeitig einen Blick in die Vergangenheit und in die Zukunft werfen". Das gilt auch und insbesondere für die im Zentrum der Ausstellung platzierte Holzbank aus einem Douglasienstamm, auf die der Künstler die Worte "Woher?" und "Wohin?" als "Klammer des Lebens" geschnitzt hat. "Sie erinnern gleichermaßen an die Wahrnehmung eines Gullivers von Jonathan Swift wie an die Kindheit, als die Sitzfläche noch überdimensional hoch erschien und die Beine über dem Boden baumelten", so Werner Meyer.

Nach der Ausstellung soll die imposante Holzbank auf der Achalm fest installiert werden. Immer wieder taucht das Bildnis des Vaters als Leitmotiv auf. Für den 46-jährigen Künstler Dieter Mammel zum einen ein Versöhnungsmotiv, "das in Auseinandersetzung mit der Erinnerung die eigene Malerei mit dem Bild des Vaters in eins setzt". Zum anderen eine Auseinandersetzung mit dem Tod des Vaters, thematisiert in "Der letzte Gang" (2008).

Die unscharfe, abgeschnittene Schattenfigur, in Tusche auf feuchte Leinwand gemalt, ist in Auflösung begriffen und deutet den letzten Lebensabschnitt des Vaters an. Den Bezug zu Reutlingen, wo Mammel die ersten 23 Jahre seines Lebens verbrachte, stellt der Künstler durch ein großes Gemälde her, auf dem ein fliegender Junge zu sehen ist, über dem das Realzeitbild der Stadt Reutlingen projiziert wird.

Die Video-Installation "Über der Stadt", so Werner Meyer, "eröffnet Fluchten - nicht zuletzt aus dem Zwiespalt zwischen der Nähe zur Heimat und der Suche nach Distanz". Dieter Mammel verließ Reutlingen mit 23 Jahren, um sich in Berlin künstlerisch zu verwirklichen. Nun, ebenfalls 23 Jahre später, kehrt er mit dieser Ausstellung in seine Heimatstadt zurück.

Auch sein Patenonkel und die Großmutter befinden sich unter den Vernissage-Gästen, von denen jeder einen Katalog im Sparbuch-Look ausgehändigt bekommt. Wie bei der Ausstellung selbst geht es Dieter Mammel auch hier nicht um Abstraktion, sondern um Bilder der Erinnerung.

Jürgen Spiess,
Südwest Presse vom 20.09.2011